Montag, 31. Dezember 2012

Tanganjika, Zanzibar, heute Tanzania

Wie bereits angekuendigt, unterscheidet sich Tanzania trotz nachbarlicher Naehe  gaenzlich von Kenya. Im Norden, in Arusha oder den umliegenden Nationalpaerken ist dies aufgrund des Tourismus und der unmittelbaren Naehe zur ehemaligen Missionarsstadt Moshi weniger spuerbar, aber die Andersartigkeit offenbart sich deutlich in den Kuestenregionen. Vielleicht ist es treffender, Kenya und Tanzania in Kuesten- und Inland zu unterteilen, da die Naehe zum Meer und damit die guten Bedingungen fuer den Handel mit Indien sowohl vor und auch waehrend der Kolonialzeit von Arabern, Indern und eben Deutschen und Briten rege genutzt wurde. Das Inland hingegen war den Einwanderern seit jeher weniger zugaenglich und daher de facto in den Haenden der Eingeborenen geblieben.

Dennoch, Tanzania hat nach der Unabhaengigkeit am 9. Dezember 1961 eine andere Richtung als sein noerdlicher Nachbar eingeschlagen. Kenya wird von Stammespolitik beherrscht und hat daher stets mit Unruhen aufgrund der Stammesrivalitaeten zu kaempfen, womit tiefere Werte wie Gut gegen Boese, Wahrheit gegen Luege, Demokratie gegen Diktatur verwischt wurden. Mit der Unabhaengigkeit von der britischen Krone (nicht wie manchmal angenommen von Deutschland, welches das Land lediglich fuer kurze Zeit in Kolonie hielt) erhielt Tanzania mit Julius Nyerere einen vom Sozialismus ueberzeugten ersten Praesidenten. Nyerere hat in seiner gut 30 jaehrigen Amtszeit versucht, das Land in den sozialen Zustand nach Vorbild von hiesigen Dorfgemeinschaften als Produktions- und Verteilungskollektiv (sog. Ujamaa) ueberzufuehren und rief die bereits etablierte Swahilisprache zur allgemeinen Nationalsprache aus. Entsprechend sprechen wenige Menschen Englisch und ich als Tourist bin gezwungen, wenigestens ein paar Brocken Swahili zu lernen (wobei ich das ja sowieso wollte).
Nyerere’s Vorstellungen eines Sozialstaates liessen sich in der Realitaet jedoch nicht umsetzen, was ihn 1985 zum Ruecktritt bewog. Dennoch, das Gefuel der Zusammengehoerigkeit ist hier spuerbarer als in Kenya. In Tanzania sind nicht die Stammeszugehoerigkeiten, sondern in erster Linie die Angehoerigkeit zum Staat massgebend. Die Nationalsprache beguenstigt dieses kollektive Zusammenleben.
Waehrend der sehr langen (und heissen) Busfahrt von Arusha nach Dar es Salaam habe ich verschiedene Gespraeche mit den Mitfahrern gefuert. Die Leute sind friedlich, sie kuemmern sich weniger um politische Angelegenheiten (was natuerlich damit im Zusammenhang stehen kann, dass in naeherer Zukunft keine Wahlen anstehen). Die Bevoelkerung scheint im Allgemeinen gefestigter, zufriedener, das Land stabiler als der Nachbarstaat zu sein.
Natuerlich herrschen hier dieselben Zustaende wie in Kenya (und wie mir gesagt wird Uganda, also Ostafrika), schlechte Infrastruktur, Armut, Chaos und massiver Verkehr in den Staedten, aber was kann ich sagen, das ist Afrika wie es mir bisher begegnet ist.

Unfall auf den Tanzanischen Strassen...
Dar es Salaam hat mich entsprechend begruesst, wobei zum langen Stehen in den Blechlawinen noch unschlagbare, tropische Hitze kombiniert mit 100% Luftfeuchtigkeit hinzukamen. Wie ich so vor mich hintriefte, wurde ich zum Gasthaus noerdlich von Dar gefahren, wo ich auf eine sehr nette schwedische Familie stiess. Anna ist hier in einem Weisenhaus taetig und hat ihren fuenfjaehrigen Sohn mitgebracht. Wir unterhielten uns lange und am kommenden Tag hat sie mich zu den Kindern mitgenommen. Gluecklicherweise hatte ich noch Wasserballone im Gepaeck, hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass hier das Wasser nicht mit genuegend Druck aus dem Hahn kommt. Die Ballone wurden also vorerst mit Luft gefuellt. Aber “Not” macht erfinderisch und irgendwann haben wir’s doch geschafft. Es war einer der schoensten Nachmittage hier in Tanzaniaa, die Wasserballone waren wirklich der Knaller.
 
 
 
 
Die Feuchtigkeit und Moskitos haben mich aber schnell auf die Insel zu Wind und Wasser getrieben. Darueberhinaus wurde mir von den Volunteers  von einem Engagement fuer die Organisation abgeraten. Die Organisation (help2kids.com, Schweizer Organisation) waere desorganisiert und man haette eigentlich nichts zu tun. Ich hoere das uebrigens an vielen Orten.
So packte ich meine sieben Sachen, rief meinen Kontakt Ahmed auf Zanzibar an und setzte gestern ueber. Auf der Faehre habe ich per Zufall meine Nachbarin getroffen, die Welt ist einfach so klein! Der Muslimische Einfluss war bereits in Dar an der Kleidung der Menschen ersichtlich, wurde aber auf der Faehre und erst richtig auf Zanzibar deutlich verstaerkt. Die Menschen sind gemischt hier, nicht nur Schwarz, oder wenn Schwarz, mit Kopftuch oder dem kleinen Huetchen. Es war sehr spannend, die Interaktion unter den Leuten verschiedener Religionszugehoerigkeit zu beobachten. Der Umgang war freundlich und friedlich, das Zusammenleben verschiedenen Religionen scheint hier eine Normalitaet.
Kilimanjaro Faehre nach Zanzibar, Hafen von Stonetwon in Sicht.
Auf dem Weg von Stonetown nach Nungwi, wo ich wohne, hat mir Ahmed die Insel erklaert, Fruechte aller Art zum Kosten gegeben, verborgene Schluchten mit blauem kalten Meereswasser gezeigt und mich schliesslich in sein wunderschoenes Haus (inoffizielles Guesthaus, super Tipp!) gebracht. Es ist wirklich paradiesisch hier.

Heimat der Green Turtles, Baraka, Nungwi.
Zanzibar hat sich erst 1963 mit dem damaligen Tanganjika zum heutigen Tanzania zusammengetan. Vor der Zeit des britischen Protektorats und spaeterer Kolonialisierung durch England war Zanzibar ein Sultanat, wurde aber als Kolonie  von der Said-Dynastie als de facto Sultanat weitergefuehrt. Damals war Zanzibar der Dreh- und Angelpunkt fuer den bluehenden Sklavenhandel, welcher die Araber reich und unnahbar machten. Mit der Unabhaengigkeit hat die lokale Bevoelkerung daher nicht wirklich ihre Freiheit gewonnen, sonder unterlag nach wie vor der Herrschaft der Arabischen Oberschicht. Dies fuehrte am 12. Januar 1964 zur blutigen Revolution der Schwarzafrikaner, womit die Inseln (nebst Unguja [Hauptinsel] auch Pemba und Tumbatu) endgueltig ihre Unabhaengigkeit eroberten. Heute ist Zanzibar teilautonom und hat eine eigene Regierung und Justiz.
Das Zusammenleben von Christen und Muslimen ist aber nicht immer friedlich. Vor zwei Monaten wurde der Muslimische Fuehrer von der Regierung wegen Verdachts auf Kollaboration mit den Fundamentalisten im Norden Afrikas festgenommen, was zu gewalttaetigen Aufstaenden in Stonetown gefuehrt hat. Erst nach dessen Freilassung nach drei Tagen kehrte wieder Ruhe ein.
Ich lasse mich nun fuer einige Wochen auf das Inselleben ein. Erste Kontakte haben ergeben, dass ich moeglicherweise fuer ein lokales Bildungszentrumr taetig sein und nebenher das Tauchen erlernen kann. Ich koennte mir keinen besseren Anfang fuer das neue Jahr vorstellen.
Euch allen, ob in der Schweiz, in Uebersee, Asien oder am roten Meer, wuensche ich einen guten Rutsch und das Allerbeste fuer’s 2013! Und nicht vergessen: Hakuna Matata!

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Northern Circuit Safari

Eine Safari in die Serengeti, was wuenscht man sich mehr ueber die Weihnachtstage, wenn man nicht Zuhause bei den Liebsten ist. Die Fahrt nach Arusha ueber die Grenze nach Tanzania gab mir Zeit, mich nach dieser intensiven Zeit in Nairobi an einen neuen Abschnitt zu gewoehnen. Tourismus, ahoi!

Nach einer sehr konfortablen Nacht in der Outpost Lodge (sehr empfehlenswert) wurde ich morgens von unserer „Crew“ bestehend aus Godson, dem Guide, und Nuru, dem Koch, abgeholt. Ich erfuhr dass ein Paar aus Deutschland mitgeht und eine vierte Person die Gruppe ergaenzt. @ Seraina: Das Deutsche Paar, Miriam und Thomas, kam in hochwertiger Sportausruestung (natuerlich in neongruen und weiss), Oakleybrillen und strammen Waden daher (weisst noch?). Die beiden haben die Woche zuvor den Kili in Rekordzeit bestiegen. Sie waren tatsaechlich so schnell, dass sie vor Sonnenaufgang auf de mGipfel standen, in der Dunkelheit, und mit den ersten Strahlen auf dem Abstieg beglueckt wurden. Der Bayrische Akzent hat das Bild vervollstaendigt. Der vierte im Bunde war ein eigentlich ganz sympatischer junger Mann aus Singapur, der in Dubai lebt und arbeitet. Wir waren komplett, es konnte losgehen.

Leider waren wir die gesamten Tage ueber nicht wirklich vom (Wetter-)Glueck gesegnet, die Safari verbrachten wir groesstenteils im Regen. Das sah dann teilweise so aus:

Regensafari in der Serengeti.
Ich moechte an dieser Stelle vorausschicken, dass es nicht die beste Idee ist, nach einem zweiwoechigen Aufenthalt in Naboisho/Kenya eine Safari zu machen. Die Naehe zu den Tieren, die Unebruehrtheit der Landschaft und die Abwesenheit von Touristen ist im Norden von Tanzania schlicht nicht zu finden. Die Gegend hier ist vollstaendig vom Tourismus eingenommen und das fuert nebst enormen Preisen insbesondere bei der lokalen Bevoelkerung zu Problemen. Sie beginnen, sich auf das Geld der „reichen“ Weissen zu verlassen, vernachlaessigen ihre eigene Lebensgrundlage (und auch Familien) zusehends und verfallen zu einem grossen Teil dem Alkohol. Die Kinder halten an den Strassenraendern die offene Hand hin, die Masai fragen plump nach Lunch an jeder Raststaette auf dem Weg in die Serengeti. Jaehrlich kommen ueber drei Millionen Besucher in die hiesigen Nationalpaerke. Fuer mehr ist schlicht kein Platz.

Die Nationalpaerke hingegen, die uebrigens lange vor dem Tourismus der letzten Dekaden Bestand hatten, sind jedoch wirklich einmalig. Selbst durch das Nassgrau hat man die unglaublichen Weiten der Serengeti, das satte Gruen im Ngorogoro Conservancy und die am Horizont matt erscheinenden Vulkane und Berge erkennen koennen.

Ngorogoro Conservancy
Unser Guide Godson war frueher von einer Hunting Company angestellt und erzaehlte uns wilde Geschichten aus dieser Zeit, von den Reichen und Schoenen, von Privatjets  und dem Jagen nach Trophaeen. Anders als in Kenya wird das Schiessen von Wildtieren in Tanzania nach wie vor gegen Entgelt praktiziert. Einen Loewen zu schiessen kostet gute USD 7'000 und einen Elefanten bereits USD 20’000. Nashoerner gehoeren der teuersten Gattung an, da diese beinahe bis zum Aussterben abgeschossen wurden. Aber fur USD 250’000 kann man nachwie vor das beruehmte Horn mit nach Hause nehmen. Wir haben auch schauerliche Geschichten von Gegenangriffen der Tiere auf Menschen gehoert und gelernt, dass ein Bueffel stets ganz und nie nur halb abgeschossen werden sollte, zumindest dann, wenn man seine Flitterwochen zu Ende erleben moechte. Es ist schrecklich, aber Realitaet. Tanzania weiss genau, wie es sein Naturerbe verkaufen kann. Ich hoffe dennoch, dass die Regierung eines Tages den eigentlichen Wert erkennt und entsprechende Verbote erlaesst. Aber solange nachhaltiges Denken hier nicht ankommt, wird die Umsetzung schwierig.

Unsere sogenannten Game Drives waren hauptsaechlich von abenteuerlichen Geschichten Godson’s erfuellt. Daneben haben wir die Fahrten eher schweigend verbracht. Miriam hat schnell feststellen muessen, dass Safari gar nicht ihr Ding ist und verhielt sich entsprechend. Ganz anders ihr Gemahl, welcher grossen Gefallen am Erspaehen von Tieren fand. In regelmaessigen Abstaenden liess er aus der hinteren Sitzreihe „here comes a pig on se left!“ oder „there is a Stauss far on the Horizont!“ verlauten. Er zeigte sich gaenzlich immun gegenueber dem Erlernen von den hiesigen, englischen Tiernamen. Das Pig waere naemlich der Warthog, welcher im Lion King durch Pumba repraesentiert wird. Aber es blieb beim Pig, beim Straussen und auch beim Geier. Waehrend Thomas arg mit der Landschaft beschaeftigt war und Miriam schweigend die angelaufene Scheibe anstarrte, froehnte unser asiatischer Freund seinem Cole-Gin-Gemisch, welches er sich - stetig bemueht, damit nicht aufzufallen - von fruehester Morgenstund an zufuehrte. Darueberhinaus hat er nicht wirklich zur kollektiven Unterhaltung beigetragen. Ich sann also meinen Gedanken nach und schoss bei kurzer Aufhellung ein paar Bilder.

Sausagetree, suche den Leoparden.
Der anhaltende Regen hat dazu gefuert, dass die Zelte inklusive Inhalt (Schlafsaecke, Matratzen) nass wurden und waehrend des Transports auf dem Dach natuerlich nicht trocknen konnten. Die Naechte waren drum etwas unangenehm, insbesondere auf 2300 m.ue.M. auf der Kraterkante des Ngorogoro Kraters. Ich holte mir einen wunderbaren Schnupfen, den ich gerade mit heissem Tee mit Ingwer zu kurieren versuche, waehrend der Muezin seine Gebete von den Daechern sing. Ja, Tanzania ist wirklich anders als Kenya. Der hohe Anteil an Muslime ist der von Aussen sichtbarste Unterschied, waehrend die Andersartigkeit auf politischer Ebene eher subtil wahrgenommen wird. Aber dazu ein anderes Mal.

Das Safari wurde dann doch noch zum Erlebnis, als die Sonne sich waermend ueber dem Krater auftat. Ngorogoro ist ein Einbruchkrater und Teil der Serengeti.

Springende Gnus auf dem Kraterboden.
Das Gebiet wurde zum Konservat erklaert, weswegen auch Masai das Land bewohnen duerfen. Der Kraterboden ist sehr fruchtbar und gerade in der Regenzeit Spielwiese und Nahrungsgrundlage fuer zahlreiche Tiere. Es leben die Big 5 im Krater, darunter ganze 19 Nashoerner. Am Kraterrand liegen die deutschen Landsmaenner Berhard und sein Sohn Michael Grzimek begraben, welche ihr Leben der Tierwelt verschrieben haben. Bernhard Grzimek ist denn auch der Mann hinter dem Dokumentarfilm „Serengeti darf nicht sterben“ und ein enger Vertrauter des ersten Praesidenten von Tanzania nach der Unabhaengigkeit, Julius Nyerere.

Die Ansammlung von allen Tierarten im Krater fuehrt aber auch dazu, dass pro Loewe oder Nashorn mindestens zehn Safaricruiser daneben stehen. Schade, dass dieser PC keinen Cardreader hat, ich haetter gerne ein paar Fotos mehr hochgeladen (mach ich beim naechsten Mal). Zudem hat das Leben in einem Krater zur Folge, dass die Tiere sich nicht mit frischen Genen mischen koennen. Laengerfristig werden die Tiere daher an Gendefekten und aehnlichem leiden. Wir haben beispielsweise ein Zebra mit einem dromedaraehnlichen Buckel auf dem Ruecken gesehen, ein eigenartiges Bild. @Andrea, weiss Du noch in Bali?

Der letzte Tag war die Kroenung des Regenfalles und gleichzeitig der schnellste Wetterwechsel, den ich je erlebt habe. So konnten wir die Safari mit den schoenen Bildern von Elefanten in unvorstellbarer Anzahl beenden.

Elefantenfamilie in Tarangire NP.
Fazit: Wenn man die Serengeti sehen moechte, geht kein Weg am Tourismus vorbei. Rueckblickend muss ich sagen, dass drei Tage Safari ausreichen, wobei eine Nacht in der Serengeti und eine Nacht auf dem Kraterrand empfehlenswert sind. Bei schlechtem Wetter kann man sich sogar ueberlegen, lediglich eine Daytour zum Ngorogoro zu machen. Man kann die Paerke uebrigens auch auf eigene Faust erkunden. Billiger duerfte dies nicht werden, da die Parkgebuehren die eigentlichen Kosten ausmachen. Die Campingplaetze sind jedoch fuer jedermann zugaenglich. Allerdings duerfte das Game Driving schwierig werden, da man die vorgesehenen Strassen nicht verlassen darf und daher wissen muss, wo sich die Tiere befinden. In any case, ich kann Tanzania Private Select Safari gut empfehlen (www.tpss.com).

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Living with Cold Waters


Mein Aufenthalt in Nairobi (Maa fuer “Cold Waters”) neigt sich bereits seinem Ende zu. Ich glaube, es ist nicht falsch zu sagen, dass ich mich in diesen wenigen Tagen sehr an das Leben hier gewoehnt und sogar die afrikanische Zeit implementiert habe. Wie es das Sprichwort so schoen sagt, hat Gott den Europaeern die Uhr, den Afrikanern die Zeit geschenkt. Allerdings ist mir nicht immer klar, ob dies dem hiesigen Volk auch wirklich bewusst ist. Nicht wenig sehe ich die Leute in einem Zustand regungslosen Wartens verweilen und war daher nicht ueberrascht, als dieser Umstand in Kapuscinski’s Afrikanischem Fieber genau so wieder gegeben wurde. Ein Beispiel aus dem Alltag hatte sich sogleich nach meiner Ankuft an vergangenen Samstag ereignet, als wir auf der Suche nach einem funktionierenden Internetanschluss von Haus zu Haus zogen. Edwin kam mit, um uns die eine oder andere Tuer zu oeffnen und als wir schliesslich fuendig wurden, machte er nicht auf dem Absatz kehrt, sondern verweilte in eben diesem reglosen Warten gute zwei Stunden bis Ed und ich unsere Dinge erledigt hatten. Es war ein herrlicher Anblick.

Mit Edwin und Ed auf der Suche nach Internet.
Die Gespraeche der Menschen in der Stadt und auch in den Slums sind derzeit sehr gepraegt von den Wahlen. Kaum vergeht ein Tag and dem ich nicht in politische Diskussionen verwickelt werde. Manchmal suche ich auch aktiv den politischen Austausch. Kenya's Politik ist, anders als unsere, von Stammeskulturen gefaerbt und verfolgt daher primaer ethnische Ziele. Es geht weniger um das Ziel oder den Zweck einer Parteigruppierung, sondern vielmehr um Herkunft und historische Praegungen der Ethnie. So wird dir auch kein Politiker im Rahmen einer Neugruppierung eine Antwort auf deren Ziele geben koennen. Vielmehr wird er wahrscheinlich unwirsch antworten, dass diese zu einem spaeteren Zeitpunkt definiert wuerden.
Entsprechend waehlt man hier diese Personen, die dem eigenen Stamm angehoeren. Davon ausgenommen sind in der Regel gebildete Einwohner, welche ueber das Stammesprinzip hinausdenken. Nach dem Erlangen der Unabhaengigkeit Kenyas am 12. Dezember 1963 hat Jomo Kenyatta, Fuehrer der Kenya Afrikan Union und Angehoeriger des Landesgroessten, den Bantu zugehoerigen Kikuyu Stammes als erster Praesident das Land zu einem der fortschrittlichsten seiner Zeit gemacht. Erst nach der Machtuebernahme durch seinen Rivalen Daniel arap Moi 1978 (bis 2002) hat die Kikuyu die Fuehrung zugunsten der Stammesminderheiten verloren. Moi hat anders als Kenyatta das Einparteiensystem befuerwortet und innerhalb seiner Amtsperiode von ueber 20 Jahren einen Diktaturstaat errichtet. Die Wirtschaft und jeglicher Fortschritt war damit im Keim erstickt. Erst mit dem dritten und heute amtierenden Praesidenten Mwai Kibaki, Stammesbruder von Kenyatta, konnte sich das Land wieder erholen. Jedoch hat Kibaki’s Wiederwahl in 2007 zu heftigen Unruhen gefuehrt, da sich insbesondere der dem Staam der Luo zugehoerige Raila Odinga in seiner eigenen Kandidatur und damit der Machtergreifung durch die ethnischen Minderheiten betrogen fuehlte. Raila Odinga ist heute Praesidentschaftskandidat und wird groesstenteils von den Kibera-Bewohnern unterstuezt, welche schliesslich gut einen Drittel der Stadtbevoelkerung ausmachen.

Entsprechend wird Kibera heute hauptsaechlich durch die Angehoerigen des Luostammes dominiert. Dies war allerdings nicht immer so. Vielmehr wurde die Ansiedlung von den aus dem Sudan stammenden nubischen Soldaten gegruendet, welche unter der britischen Krone Land fuer die Kolonialmacht eroberten (King’s African Rifles). Die Gruender wurden aber nach und nach von Einwanderern anderer Ethnien in der Anzahl uebertroffen und verloren damit die kommunale Herrschaft in Kibera. Heute ist in den Slums von diesen Urspruengen nichts mehr zu spueren. Dies wurde bei den Gespraechen in einer "Bar" in Kibera, in der Nachtschichtarbeiter ihren Tag beim Trinken des lokal gebrauten "Changa Busa" verbringen, reflektiert. Ich wurde Zeuge von sehr amuesanten Szenen (leider kann ich das Video nicht uploaden, dafuer aber ein Foto).

Nachtschichtarbeiter beim Trinken.
Ich hatte die Gelegenheit, durch einen Freund von Ed eine Tour durch Kibera zu machen und war erstaunt, wie entwickelt das Gebiet ist. Es haben sich Geschaefte einen Namen und Ruf erschaffen, es wird mit Biogas Energie erzeugt und die Leute sind stets emsig und froehlich auf den Strassen. Natuerlich vermoegen die einzelenen wirtschaftlichen Unternehmen die flaechendeckende Armut nicht verdraengen, aber es ist der Anfang fuer eine progressive Slumentwicklung.


Mitarbeiter der Victorious Youth Group, welche Kuhknochen zu Schmuck verarbeiten.


Kleiner Junge beim Malen, Kunstatelier in Kibera.
Biogas Cenre
Vor rund zwei Jahren hat die Regierung beschlossen, die Lehmhuetten in den Slums durch einheitliche Hauser aus Stein zu ersetzen. So wurde die erste Hauserzeile am suedlichen Ende von Kibera erbaut und die Bewohner Kibera’s Zone A fuer einen monatlichen Zins von Ksh 3'000 in die Wohnungen verfrachtet. Im Gegenzug wurden deren Lehmhuetten und damit deren Zuhause, abgerissen. Die Betroffenen wollten diesen unrechtmaessigen, wenn auch gutgemeinten, Eingriff in ihr Eigentum nicht dulden und beschlossen kurzum, den Neubau trotz vorzueglichen sanitaeren Anlagen und robusteren Waenden zu verlassen, um zurueck in die gewohnlichen Baracken, ihre Heimat, zu ziehen. Clever wie sie sind haben sie Untermieter fuer die Steinhaeuser gesucht und erfreuen sich heute einer monatlichen Mehreinnahme von Ksh 3'000. Das Projekt ist bis heute on hold.

Die erste Etappe der durch die Stadt finanzierten Haeuser als Ersatz fuer die Slumhuetten.
Viele Bewohner leben aus freien Stuecken in Kibera. Es ist beispielsweise ueblich, dass Kenyaner nach dem Versterben ihrer Eltern deren Landbesitz erben. Doch viele Kenyaner, in der Hoffnung, den Breakthrough doch noch zu schaffen, lehnen das vorhersehbare, stoische Landleben zugunsten des Lebens in Kibera ab.

Diddy in seinem Zuhause (www.kiberaslumtours.wordpress.com).
Ich kann dies als Europaeerin wohl intellektuell nachvollziehen, kann mir aber ein Leben hier eher schlecht vorstellen. Die Lebensart jedoch, dieFroehlichkeit und die Bescheidenheit habe ich doch gerne angenommen. So war ich am Dienstag mit Sara und Tim, den beiden Englaendern aus dem Naboisho Conservancy, im Museum und anschliessend einen Happen essen. Sie bestanden darauf, dass ich einen Taxi zurueck nehme, da es bereits dunkel war. Der Taxi war ein einem Gelaendewagen aehnelnder Opel, welcher nebst meiner Hautfarbe mit Sicherheit zu zusaetzlicher unerwuenschte Aufmerksamkeit in Kibera fuehren wuerde. Um die beiden zu beruhigen nahm ich den Taxi bis zum mir nahe gelegenen Shopping Centre und stieg dort auf die ueblichen Matatus um. Es war mir instinktiv wohler. 

Zuhause ist es wunderbar. Wir kochen stets alle zusammen und ich lerne, wie ortsuebliche Gerichte auf einfachste Art und Weise zubereitet werden. Gerade am Montag hat es anlaesslich Bobo's Rueckkehr aus Uganda ein Festschmaus gegeben; es wurde Chapati zubereitet. 

Milgred beim Braten der Chapati in unserer Kueche.
Ich erfreue mich an der wachsenden Freundschaft mit Maureen. Maureen hat zwei Kinder, Ashley (7) und Bradley (3). Sie gibt ihr allerbestes, um sich und ihren Kindern die Schule zu finanzieren. Da gerade Schulferien sind und ich Lust hatte, den staedtischen Arboretum Park zu besichtigen, habe ich die drei spontan dazu eingeladen. Wir besorgten uns also Fruechte und Chips vom Stand vor der Tuer und machten uns auf in die “andere Welt” im Zentrum Nairobi's. 

Lokale Chips, hmmm ein Genuss!
Die Kinder haben den Park noch nie gesehen und es war ein ruehrender Anblick, wie die beiden herzhaft lachten und herum sprangen. Der lange Fussmarsch in der gleissenden Mittagssonne schien keinem der Kinder etwas ausgemacht zu haben. Wenn ich dabei an die schreienden und quaengelenden Kinder zuhause denke, verdienen Ashley und Bradley nur den groessten Repekt.

Zufriedene Ashley
Ein wunderbarer Nachmittag mit Maureen und Kindern.
In dieser Woche hatte ich auch die Gelegenheit, Sharon in ihrer morgentlichen Aufgabe mit behinderten Kindern/Teens zu helfen. Wir warn rund 12 Freiwillige, wobei ich die einzige "Msungu" (Weisse) war. Das Xavier Projekt verlangt drum von seinen Schuelern einen Beitrag an die Community. So konnte ich Waesche waschen, natuerlich von Hand bis die Finger schrumplig waren, Rueebli schaelen (mit dem Messer) und Reis sortieren und schwupps waren die drei Stunden schon um. Es fuehlte sich einfach gut an, den Morgen nicht schlummernd im Bett, sondern mit Benachteiligten sinnvoll verbracht zu haben.

Sharon und Innocent vom Sudan.
Diese Taetigkeiten und Einsichten machen mich natuerlich nicht zum Samariter, aber ich geniesse die Abwechslung zu meinem frueheren Job, den Unterschied, der eine kleine Geste machen kann und die Dankbarkeit der Betroffenen nach erhaltender Unterstuetzung sehr und werde von dieser Einstellung sicher ein grosses Stueck mit nach Hause nehmen. Aber ich bin immer noch ich und freue mich auch, in der kommenden Woche nach Tanzania weiterzuziehen, ein paar Tage dem Tourismus in der Serengeti zu froehnen und mir ein nettes Hotel zu nehmen.

Dies ist also mein letzter Beitrag aus Kenya, welches ich nach diesen drei Wochen wirklich nur ungern verlasse.

Sonntag, 16. Dezember 2012

Nairobi und Kibera



Die rund sieben stuendige Fahrt in die Zivilisation war gleichzeitig eine Zeitreise vom Leben in der freien Wildbahn und den alten Traditionen in die scheinbare Moderne des Ballungszentrums Nairobi. Armut, welche ich in der Savanne als solche empfunden habe, erscheint nach dem trostlosen Anblick des Stadtgroessten Slums vielmehr als unschaetzbaren Reichtum. Selbst meine Erlebnisse und Erfahrungen in Asien und Suedamerika haben mich nicht auf dieses erste Empfinden in meinem neuen, temporaeren Zuhause vorbereiten koennen. Wie bin ich hier gelandet?
Ueber airbnb.com habe ich mir bewusst ein Zuhause in der Naehe von Kibera ausgesucht. Gemaess Karte und Adresse auf der Website war das Haus ein gutes Stueck vom Slum entfernt. Der Wagen fuhr jedoch immer tiefer und tiefer in die eigene Welt dieses Zusammenlebens von allerlei Menschen und Tieren hinein und setzte mich schliesslich neben einer Pfuetze vor einem Tor mit der Aufschrift “MSF Olympic Centre – respond to rape” (in roter Schrift) ab. Endstation, welcome to Kibera.

Olympic, Kibera/Nairobi
Natuerlich haben die Verspaetung meines Kontaktes, das einsame Warten, das Hupen und Draengen von Matatus (oeffentliches Transportmittel, das heisst kleine Autobusse vollgestopft mit Menschheit) hinten und vorne und die starrenden Blicke der Einheimischen, die wortlos meine Andersartigkeit aufgrund meiner Hautfarbe quittierten, nicht zu einem heimischen Wohlgefuehl beigetragen.  

Aber wie so oft ist der erste Eindruck taeuschend. Die eigentliche Schoenheit und vor allen Dingen die Sicherheit des hiesigen Lebens wird erst nach dem verspaeteten, aber herzlichen Willkommen von Edmund und Margret und einem kleinen Rundgang durch das Quartier sichtbar. Unser Zuhause ist einfach, aber es fehlt uns an nichts.

Unser Vorgarten.
Edmund ist ein Englaender, welcher sich der Unterstuezung von Fluechtlingskindern aus dem Kongo verschrieben hat (www.xavierproject.co.uk). Margret ist seine Freundin, welche einem Nomadenstamm im Westen von Kenya beim Victoriasee ihre Herkunft nennt. Edwin, ein in Kibera aufgewachsender Schwarzer, ist mein Mitbewohner und ist fuer das Projekt www.kiberachildren.org engagiert. Edmund lebt ein paar Haeuser weiter. 
Sie erklaeren mir, dass der Bezirk Olympic in Nairobi urspruenglich von Freiwilligenarbeitern und Organisationen wie Medecins sans Frontiers besetzt war. Heute ist es von Kibera Bewohnern und Hilfsarbeitern durchmischt bewohnt, wobei mir in diesen zwei Tagen noch kein weisses Gesicht begegnet ist.
Ich wurde die ersten 500 Meter in den Slum hineingefuehrt und von einer ueberraschend wohlwollenden Atmosphaere heimgesucht. Die Stimmung war froehlich und ausgelassen, ich verspuerte keinerlei Angst oder Unbehagen. Der Vorteil des Lebens in dieser Gegend ist die konstante Ansammlung von Menschen und die daraus resultierende soziale Kontrolle. Kriminalitaet ist zumindest in den Randregionen von Kibera kein Thema. 

Dennoch, diese ersten Wahrnehmungen der eigentlichen Dritten Welt, die Schlaflosigkeit in der ersten Nacht begleitet von anhaltender Musik des Viertels und den verschiedenen Kundgebungen im Hinblick auf die Wahlen im Maerz haben erstmals zu einem mir bisher unbekannten Gefuehl der Verlorenheit gefuehrt. 

Mein heutiger Stroll mit Maureen, Freundin der Eds, 26 Jahre alt, (wieder) in der Primarschule und Mutter zweier Kinder im Alter von drei und sieben Jahren, um Lebensmittel zu kaufen, hat mich aber so heimisch und zuhause fuehlen lassen. Da spuert man, dass die vermeindlich schlimmsten Orte die eigentlich waermsten und herzlichsten sind. Ich freue mich, auf die kommenden Tage hier.



Masai


Wie bereits erwahnt war die zweite Woche in Naboisho von Regen gepraegt. Die Loewen meiden das Nasse, weshalb die zweite Woche in Naboisho vom unermuedlichen, aber leider erfolglosen Suchen gepraegt war. Drei Pannen an einem Tag fuehrten dazu, dass ich unabhaengig Reifen wechseln kann. Der Stillstand des Cruisers in der weiten Steppe hat seine ganz eigene Romantik, gerade in der wunderbaren Abendsonne.
Fixing flat tire, the first. Two more to come...


Abendstimmung in Naboisho, Gnus am Horizont.


Ich moechte euch auch nicht die sensationellen morgentlichen Ueberraschungen vorenthalten, die uns das Waschbecken in der Regensaison bietet.

Kaeferraten.
 Aber das Fehlen unserer geliebten Loewen lies suns nicht traege herumliegen, zumindest nicht mehr als noetig. Vielmehr nutzten wir die Zeit, um uns vermehrt mit dem Leben der Masai auseinanderzusetzen und locale Maerkte zu besuchen. Wir verliessen also fuer einmal den sicheren Hafen des Busches.


Zitronen!

Ich erinnere mich vor meiner Abreise eine Reality Show im Fernsehen ueber rebellierende Teenager in Deutschland  gesehen habe, wovon zwei zwecks Erlernen von Zucht und Ordnung in ein Masai Dorf verfrachtet wurden. Die junge Deutsche liess daraufhin das Statement verlautet, dass es ecklig war und die Leute im Dreck leben. Aus unserer Sicht ist dies vielleicht gar nicht so unwahr, allerdings hat Kuhstuhl und Kuhdung in dieser Gegend eine ganz andere Bedeutung. Er ist das Fundament fuer ein ertraegliches Leben in der Duerre der Steppe, erlaubt den Bau der ortueblichen Huetten, verleiht einem Glueck, wenn man darauf steht und bietet wertvollen Boden fuer das immerwaehrende Feuer in den Haeusern. Darueber hinaus kann er auch als Medizin verwendet warden, wenn er gekocht ist. Daher ist es wirklich eher eine Frage der Perspektive, wie man Hygiene versteht.

Joseph's home village.
Eli, guess what the boy is having on his arm! Lucky boy
Die Ahnen und heute alten Masai glauben an einen anderen Gott, welcher ihnen das in ihren Augen weltweite Recht auf Besitz aller Kuehen gab. Daher auch die frueheren Raubzuege auf Nachbarsherden und das Unverstaendis Aussenstehenden, dass Diebstahl in diesem Sinne Recht ist. Ich zeigte einem Masai ein Foto einer Kuh aus dem Appenzell und fragte, ob diese auch ihnen gehoerte. Natuerlich lag dieser Frage eine gewisse Ironie zugrunde und ich stellte sie auch nur deswegen, da ich wusste, dass die junge Generation nicht mehr daran glaubte. Entsprechend wurde meine Frage mit einem Lachen quittiert, gefolgt von einem Kopfschuetteln.

Jedoch werden heute nicht alle alten Glaubensfragen so rational verstanden. Themen wie Poligamie und arrangierte Ehen werden heute nach wie vor in vollster Ueberzeugung gelebt. Ich unterhielt mich mit einem 24 jaehrigen Juenglich, welcher bald in den Hafen der Ehe gefuehrt wird. Ich konfrontierte ihn mit dem Thema Liebe in der Ehe und er meinte dazu lediglich, dass die beiden Dinge nichts gemeinsam haben. Liebe kann heimlich gelebt werden.

Gluecklicherweise wird jedoch in den meisten Doerfern keine Beschneidung der jungen Maedchen mehr praktiziert. Die vor rund zwei Jahren erneuerte Verfassung mit dem inherenten Verbot dieses Aktes scheint seine Wirkung getan zu haben. Natuerlich ist eine gewisse Dunkelziffer davon ausgenommen – Wandel benoetigt seine Zeit.

Sohn des Cousins von Jospeh.
 Gegen Ende unseres Besuches in einem klassischen Masai Dorf hatte ich die Gelegenheit, mit der Stammesaeltesten zu sprechen, sie ist 68 und Mutter unseres Mitarbeiters Jospeh. Ich war sehr gespannt ueber ihre Reaktion auf meine Frage, wie sie die Veraenderungen der heutigen Generation, die Modernisierung der Masai und das vermehrte Ablehnen der traditionellen Strukturen wahrnahm. Sehr erstaunt bekam ich ein gleichgueltiges Kopfschuetteln entgegen. Das einzige was ihr heute wichtig erschien, war der Besitz eines Mobiltelefones, um ihre vielen Kinder in den verschiedenen Doerfern erreichen zu koennen. Diese Szene wurde mit gerade gestern bei der Lektuere von Kapuscinski’s Afrikanischem Fieber in Erinnerung gerufen, als er die Nomadenkultur und das Leben in der Unstetigkeit der Masai beschreibt. Einzige Kontante ist die mentale und heute eben praktische, durch Mobiltelefone ermoeglichte orale Verbundenheit untereinander.

  
Joseph und seine Mutter, Dorfaelteste und "Midwife" (Hebamme, es gibt nur eine pro Dorf).
Mit all diesen Eindruecken haben wir Naboisho bereits am Samstag in Richtung Nairobi verlassen. Die Weihnachtsferien standen spuerbar vor der Tuer;  es gab keine Arbeit mehr ueber das Wochenende.



Sonntag, 9. Dezember 2012

Naboisho Concervancy


Liebe Blogleser

Sieben Tage bin ich draussen in der freien Wildbahn und es fuehlt sich an, als waeren es bereits Wochen. Die Abgeschiedenheit und die Ruhe lassen das Zeitgefuehl verschwinden.

Gestern hat sich die Zahl der Freiwilligen auf drei reduziert und wird sich in der kommenden Woche auf zwei beschraenken. Ab Samstag werde nur noch ich hier sein, fuer meine letzten drei Tage. Die Weihnachtszeit ruft alle heim und die lokalen Schulen machen zu. Der gestrige Abschied  dauerte seine Zeit, welche wir in der Mittagshitze auf einer Landebahn in der offenen Steppe verbrachten. Das Flugzeug hatte eine Stunde Verspaetung.

Olseki Airstrip

An das Warten oder das Ruhen in der Tagesmitte gewoehnt man sich und es gehoert zum Programm. Es ist schlicht unmoeglich, zu dieser Zeit auf irgendeine Art aktiv zu werden. In der Regel schlafen wir oder liegen einfach da, den Gedanken nachhaengend. Internet kann eine gute Beschaeftigung sein, ist jedoch aufgrund der schlechten Verbindung eher ein Stressfaktor. Entsprechend hatte ich bis zum heutigen Tag keinen Zugriff auf meine Emails und habe die Hoffnung auf den erfolgreichen Login zugunsten wertvoller Ich-Zeit aufgegeben. Sollte dieser Beitrag live gehen, so grenzt dies an ein kleines Wunder.

Unser Zuhause
Das Leben hier ist einfach, man geht in kleinen Schritten vorwaerts, sowohl privat als auch bei der  Arbeit. Entsprechend sind die Projekte auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Worum geht es? 

Vor rund zwei Jahren haben die im Suedwesten des Landes ansaessigen Masai ihr Land an die in Norwegen gegruendete Basecamp Foundation fuer eine befristete Zeit von 15 Jahren verpachtet. Dem Geschaeft lag die Absicht des Paechters zugrunde, das Land zugunsten der einheimischen Wildtiere von der anhaltend wachsenden Masai Bevoelkerung zu schuetzen und damit den teilweise gefaehrdeten Tierarten – insbesondere den Loewen – deren Lebensraum zu erhalten. Der Ort wurde Naboisho Conservancy getauft (Maa fuer “Zusammenkommen”).

Masai Mara Conservancies Map, roter Punkt signalisiert unser Camp.
Seit jeher haben die Masai und die einheimischen Wildtiere in einem stimmigen Neben- und Miteinander gelebt. Das Reissen einer Kuh durch eine Loewin wurde herkoemmlicherweise mit dem Tod des Wildtieres geraecht, wobei die einzelnen Vorfaelle dieser Art das natuerliche Gleichgewicht der Lebewesen nicht gestoert hatte.

Aufgrund des neu erworbenen Zugangs zur westlichern Medizin hat sich die Sterberate, insbesondere unter Masaikindern, stark vermindert, womit ein jaehrliches Wachstum von rund 8 % entstand. Mit dem Bevoelkerungswachsum geht das Wachstum der Kuhherden einher, welche das Korrelat zur westlichen Waehrung darstellt. Der natuerliche Kreislauf hat mit der Vermehrung der Masai sein Equilibrium verloren und in der Folge eine einschneidende Verminderung der Loewenpopulation bewirkt. Dies und andere Faktoren haben in Afrika zu einer Loewenpopulation von insgesamt 23’000 gefuehrt, waehrend in den Achzigerjahren noch rund 75’000 gezaehlt wurden. Jaehrlich sinkt die Anzahl um weitere 100.

Ein Grossteil unserer Arbeit ist es, die im Naboisho Conservancy ansaessigen Loewenstaemme als auch Elefantenfamilien zu zaehlen, deren Verhalten zu beobachten und Aufklaerungsarbeit unter den Masai zu leisten. Die Organisation African Impact, fuer welche ich arbeite, ist in diesem Zusammenhang der Provider von Arbeitskraeften zur Unterstuetzung der Basecamp Foundation und den hier ansaessigen lokalen Projekten (z.B. Elephant Voices, www.elephantvoices.org or Mara Naboisho Lion Project, www.mnlp.org). Daneben werden auch die uebrigen Tierbestaende gezaehlt und in einer Datenbank erfasst, um Analysen ueber das Vehalten der klassischen Beutetiere der Wildkatzen zu erhalten. Dabei gilt es insbesondere, deren Bestand zu erhalten, um Nahrung fuer die einheimischen Wildkatzen zu erhalten. Zu diesen Bestaenden gehoeren Giraffen, Zebras, Impalas, Thommson Gazelle, Nashoerner, Topi, Gnus, Wildfuechse, Strausse, Affen und weitere Arten von Anthilopen. Wir sind taeglich rund um diese Tiere und erleben diese respektive deren Laute auch nachts in unmittelbarer Reichweite unserers Camps.
Unser Buero, Esszimmer, Aufenthaltsraum und Konferenzzimmer in einem.
Das Beschraenken dieser Arbeit auf das Gebiet des Naboisho Conservancy ist sinnvoll, da durch die Kenntnis der einzelnen Individuen  der Tierstaemme deren Verhalten exakt analysiert werden kann. Nur so haben wir Kenntnis darueber, dass seit Entstehen des Protektorats  eine Vielzahl an Loewenbabies zur Welt kamen, die vorherrschenden maennlichen Loewen die Staemme zugunsten des Erhaltes eines gemischten Genpools gewechselt haben und die Koalition von sechs jungen Loewen mit groesster Wahrscheinlichkeit einen neuen Stamm gruenden wird. Durch das taegliche Identifizieren der Tiere und das Beaobachten ueber mehrere Stunden lernt man jedes einzelne Individuum kennen und kann bereits nach kurzer Zeit eine Verbindung zu ihnen herstellen, sie wachsen einem ans Herz. Zusammen mit der Weite der Steppe und der frischen Brise in der Abendsonne ist es nicht schwer, sich unweigerlich in dieses Land zu verlieben. Das Aufstehen jeden Tag um 6 Uhr in der frueh und das Hindaemmern in der Mittagshitze sind dagegen zu vernachlaessigende Preise, die man zahlt.





Fernab von jeglicher Romantik bringt das Beaobachten von Tieren ueber einen laengeren Zeitraum auch erschreckende oder amuesante Situationen mit sich. Gerade Elefanten sind dem Menschen eine gefaerliche Spezies, die bis heute unkontrollierbar bleibt. Gerade vorgestern hat uns ein junger Bulle trompentend aus seinem Revier verjagt, was aus unmittelbarer Naehe ohne jeglichen Schutz ungeheuer Eindruck macht. Dazu ist das juengste, sehr traurige Vorkommnis beispielhaft, als der Onkel unseres Campleaders den Angriff eines Elefanten mit dem Tod bezahlte. Grundsaetzlich jedoch sind Elefanten friedliebende Tiere, die lediglich in Notsituationen Menschen angreifen, beispielsweise wenn sie ihre Jungtiere bedroht sehen oder ihr Territorium nicht respektiert wird.


                    Die Unterscheidung zwischen maennlich und weiblich kann manchmal sehr einfach sein...

Nebst den zahlreichen Arbeiten mit Tieren haelt das Projekt auch andere Aufgaben fuer uns bereit. Freitag ist jeweils Community Work, das heisst es werden Dinge unternommen, die den umliegenden Doerfern und ihren Bewohnern nuetzlich sind. Mein erstes Community Projekt war das Bepflanzen der unlaengst gegruendeten Medizinischen Klinik. Dabei handelt es sich um ein in die Landschaft gepflanztes Gebaeude mit einem Behandlungsraum und einem Aufbewahrungsraum fuer Medikamente. Ein 25 Jahre junger Masai ist der Clinical Officer, er behandelt ortsuebliche Krankheiten wie Malaria und Lungenentzuendungen und betreibt Praeventionsarbeit im Hinblick auf die rasche Verbreitung von HIV.

                                                   HIV Praeventionsarbeit in der Klinik.

                                                     Bepflanzen mit Tim, Anna und Sara.

                   Olesere Community Clinic mit Clinical Officer (links) und unserem Teamleiter Lincoln (mitte).

Auf dem Rueckweg besuchten wir Nils und Crystel, zwei hier wohnhafte Europaeer, welche sich dem Loewenprojekt und der Unterstuetzung der Masai verschrieben haben. Seit gut einem Jahr leben sie zusammen in der fuer Masai typische Lehmhuette. Insbesondere mit Nils sind wir oft unterwegs und haben zusammen am Mittwoch die Geburt zweier Loewenbabies in offener Wildbahn miterleben duerfen. Er ist der Gruender des Mara Lion Projects.

                               Nils Morgensen, Gruender des Mara Naboisho Lion Project, vor seinem Zuhause.

Der Freitagabend wurde gross gefeiert, da es der Abschied beinahe aller Volonteers war. Die kommende Woche wird daher sicherlich ruhiger werden, aber moeglicherweise fuer mich interessanter, da ich als Einzelperson mehr involviert werden kann. Die Naechte hingegen werden etwas unangenehmer sein, so alleine im Busch, aber immerhin weiss ich die lokalen Mitarbeiter in unmittelberer Naehe in ihren Zelten.

Spasseshalber erwaehnte ich im Hinblick ab den Abschied der Volonteers das Verzehren einer Geiss, worauf am Freitag auf unsere Rueckkehr doch tatsaechlich eine Geiss neben dem Camp auf uns wartete und vor sich hin bloeckte. Im Folgenden wurden wir Zeuge einer Schlachtung mit allem drum und dran. Ich erspare Euch die entsprechenden Bilder, muss aber sagen, dass das Essen ein richtiger Festschmaus wurde und der monsunartige Regen (endlich!) der Stimmung keinen Abbruch tat. Ich war vor allem wegen dem herrlichen Rueblichueche ganz selig.


                       Crystel - rechts - ist Nils' Freundin und macht hier ihren PhD ueber die lokale Bevoelkerung.

Heute Sonntag (mittlerweile ist es zwar Mittwoch, das Internet daueret halt..) hieften wir uns um 6.30 Uhr aus den Federn, da wir eine Wanderung in den nahe gelegenen Huegeln zusammen mit vier Masai unternehmen konnten. Diese Wanderung wird in dieser Jahreszeit oft unternommen, da die Kuhherden in die Hoehe getrieben werden muessen, es in der trockenen und heissen Jahreszeit gruenes Gras und Buesche gibt. Die vier Stunden in der Natur waren begleitet vom anhaltenden Geschwasetz der Masai, kreuz und quer ueber unsere Koepfe, ohne Halt und ohne die Antwort des anderen abzuwarten. Ich versuchte ein paar Mal, mich in das Gespraech einzubringen - es ging mehrheitlich um die Wahlen im Maerz 2013 - habe dann aber aufgegeben, als das Handy als fuenfte Stimme schrillend in die Konversation eindrang (Videos der Wahlkaempfe). Es fuehlte sich an wie ein Herd voller Kanarienvoegel und liess unsere Koepfe schwirren. Wir waren am Ende hauptsaechlich geistig erschoepft, aber lachen sehr herzhaft darueber. Schliesslich waren sie richtig gute Fuehrer und haben auch geholfen, Anna’s Turnschuh zu flicken, natuerlich mit Speer und Dolch.


                  Ich lerne die ortsueblichen Waffen kennen, das Gift an der Pfeilspitze hatte einen ganz eigenen Geruch.

Heute wird es wieder regnen, die Wolken haengen tief und dunkel ueber uns und ich freue mich auf das Bett, die kuehle Luft und tiefen Schlaf.

Anmerkung von heute Mittwoch: Es regnet seit jenem Sonntag jeden Abend in Kuebeln. Gestern kamen wir fast nicht mehr in unser Camp zurueck, da die Feldwege derart unter Wasser standen und selbst die unsterblichen Land Cruiser von Toyota nicht mehr weiter kamen. Nun denn, wir habens geschafft. Und ja, in den Naechten laesst es sich so wirklich besser schlafen, dafuer suchen einem umso mehr die Traeume heim.

Die Regensaison ist uebrigens gute zwei Monate verspaetet. Auch hier findet also eine Klimaveraenderung statt. Fuer mich ist es wundervoll, die Trocken- (erste Woche) und Nassperiode (zweite Woche) zu erleben, die Landschaft veraendert sich quasi ueber Nacht. Heute ist die Savanne gruen und die Tiere laufen gluecklich und spielend ueber die Wiesen.

Hier noch ein letztes Stimmungsbild, welches keine 100 Meter vor unserem Camp and meinem ersten Tag aufgenommen wurde.
 

Also Ihr Lieben, ich melde mich baldmoeglichst wieder. Bis dahin, kwaheri, wakati mwema hadi wakati mwingine.